Rollstuhl, Blindenschleife, Gebärdensprache. Nehmen wir diese Behelfe im Alltag wahr, so wissen wir rasch, dass es sich wohl um einen Menschen mit Behinderung handelt. Allerdings umfasst „Behinderung“ auch viele Facetten, die nicht sofort ersichtlich oder begreiflich sind. Zudem werden die Fähigkeiten im Kontext des Themenfeldes Behinderung häufig wenig beachtet.
Österreich hat für die Integration von Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben eigene gesetzliche Grundlagen geschaffen. So besteht unter bestimmten Voraussetzungen eine Einstellungsverpflichtung für Betriebe ab einer Beschäftigtenzahl von mehr als 25 Personen. Gleichzeitig sind Unternehmen, vor allem jene, in denen körperliche Arbeit verrichtet wird, dazu angehalten, Vorsorge für ihre Belegschaft zu treffen, um diese gesund zu erhalten und einer Verminderung der Erwerbsfähigkeit nachhaltig entgegenzuwirken.
Unternehmen erkennen immer öfter, dass sie einen wesentlichen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, und beschäftigen aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus Menschen mit Behinderung. Aber auch das Erkennen der vielfältigen Potenziale, die damit einhergehen, führen dazu, dass dem Thema heute zunehmend größere Bedeutung beigemessen wird. In einer von brainworker im Jahr 2018 veröffentlichten Befragung von 105 Betrieben, von denen fast jedes Fünfte ein Industriebetrieb war, gaben knapp 50 Prozent an, das Thema „Behinderung“ sei für sie „sehr relevant“ oder „eher relevant“.
Faktoren wie erhöhte Schutzrechte, etwa was Kündigung anbelangt, oder aber fehlende Informationen und rechtliche Unsicherheiten stehen den Ambitionen von Unternehmen, Menschen mit Behinderung einzustellen, entgegen.
Setzt man sich aktiv mit dem Thema Behinderung auseinander, wird jedoch schnell klar, welche Chancen und Möglichkeiten hier verborgen liegen und welche verzerrten Bilder von Behinderung unser Denken und Handeln in diesem Bereich beeinflussen.
Etliche Betriebe haben aus unterschiedlichen Gründen Angst oder zumindest Berührungsängste, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Dabei verzichten sie aber auch auf eine Vielzahl an Potenzialen und Vorzügen.
Menschen mit Behinderung wird häufig zu unrecht eine geringere Leistungsfähigkeit unterstellt. Denn sie bringen auch zahlreiche Kompetenzen ins Unternehmen ein, die für Betriebe großen Nutzen stiften. Wer auf Menschen mit Behinderung verzichtet, nutzt auch die Chance zur Erweiterung des unternehmenseigenen Kompetenzportfolios nicht.
Wo Menschen mit und ohne Behinderung gut zusammenarbeiten und nicht-betroffene Kolleginnen und Kollegen entsprechend sensibilisiert sind, herrscht gewöhnlich ein besseres Miteinander und damit auch ein freundlicheres Betriebsklima. Die direkte Auseinandersetzung mit dem Thema Behinderung schafft Verständnis für Bedürfnisse und räumt Voreingenommenheiten aus dem Weg.
Menschen mit Behinderung sind eine wichtige Kundengruppe. Aber nicht nur das. Überlegungen zur Reduktion von Barrieren, etwa beim Zugang zu Information, schaffen das Potenzial, von mehr Kundinnen und Kunden als attraktiv wahrgenommen oder für diese überhaupt erst als relevant in Betracht gezogen zu werden.
Die meisten Betriebe, die Menschen mit Behinderung nach dem Gesetz beschäftigen sollten, erfüllen ihre Einstellungsverpflichtung nicht oder nicht vollständig, was zu hohen Ausgleichszahlungen führen kann. Unternehmen, die sich bemühen, ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nachzukommen, sparen also Geld und profitieren zudem von einem besseren Image.
Betriebe, die Menschen mit Behinderung einstellen und beschäftigen, haben Anspruch auf zahlreiche Fördermöglichkeiten und Entlastungen, etwa im Bereich der Lohnnebenkosten oder über eine kostenlose Arbeitsassistenz.
Die psychischen, physischen, kognitiven und sinnesbedingten Fähigkeiten und Behinderungen von Menschen haben großen Einfluss auf die Chancen im Arbeitsleben. In Organisationen dreht sich das Thema Behinderung meist um die Einstellungsverpflichtung von sogenannten „begünstigt behinderten“ Personen. Behinderung ist jedoch wesentlich breiter und es gibt zahlreiche gute Gründe und Möglichkeiten für Betriebe, sich tiefergehend damit auseinanderzusetzen.
Sprechen wir von Behinderung, so haben wir meistens Bilder eines Menschen im Rollstuhl oder einer anders körperlich oder geistig beeinträchtigten Person im Kopf. Behinderung ist aber viel mehr. Tatsächlich gibt es keine eindeutige Definition für Behinderung. Sowohl lokale und internationale Gesetze als auch Medizin oder Psychologie liefern hier unterschiedliche Erklärungen.
Die UN-Behindertenrechtskonventionv beschreibt Menschen mit Behinderung als „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren ihre volle und wirksame Teilhabe gleichberechtigt mit anderen in der Gesellschaft behindern können.“vi
Was als langfristig anzusehen ist, erläutert das Österreichische Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzvii. Darin ist von „Beeinträchtigung …, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft … erschweren“ und einer Dauer von mehr als sechs Monaten die Rede.
Im Gegensatz zur UN-Definition jedoch konzentriert sich das österreichische Gesetz sehr auf Defizite, während die UN klarlegt, dass Menschen mit Beeinträchtigung nicht behindert sind, sondern durch Barrieren in ihrer Umwelt behindert werden. Vereinfacht könnte man also sagen: Behindert ist, wer behindert wird.
Welchen Barrieren Menschen mit Behinderung ausgesetzt sind, ist für Nicht-Betroffene nur schwer zu erfassen. Offenkundig und vielfach medial diskutiert wurde in Österreich bereits die bauliche Barrierefreiheit. Angebote, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, müssen barrierefrei zugänglich und für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise – also ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe – zugänglich und nutzbar sein. Hierbei erstreckt sich das Spektrum über den Zugang zu Gebäuden und Stockwerken, über Türbreiten, Beschilderungen oder Fluchtmöglichkeiten. Überlegungen dazu sind nicht nur für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen relevant, sondern sind beispielsweise auch für ältere Menschen häufig sehr hilfreich.
Barrierefreiheit ist jedoch noch viel mehr als die Beseitigung baulicher Hürden. Auch beim Zugang zu Information stoßen Menschen auf zahlreiche Barrieren. Schriftgrößen, Ausschilderungen, Möglichkeiten, einen Text überhaupt verstehen zu können, oder die Kommunikation im Allgemeinen – all das ist ebenfalls vom Anspruch der Barrierefreiheit umfasst. Neben technischen Lösungen (etwa Vorlesemodus für Webseiten, Induktionsschleifen für Hörgeräte etc.) sind es oft einfache Adaptierungen, die Menschen mit und ohne Behinderung das Leben erleichtern können. Und übrigens: Menschen mit Behinderung sind auch eine wichtige Kundengruppe. Ein barrierefreier Zugang zu Produkten und Dienstleistungen schafft also auch Marktvorteile!
Nicht alle Behinderungen sind sichtbar. Eine Vielzahl an Behinderungen lässt sich von außen gar nicht feststellen. Häufig sind dies Defizite/Handicaps, die im Laufe des Lebens – etwa als Folgeerscheinungen von schweren Erkrankungen – erworben wurden. Außerdem arbeiten auch zunehmend ältere Menschen in Unternehmen, deren Risiko, im Laufe eines langen Berufslebens eine Behinderung zu erlangen, naturgemäß steigt. Welchen Einfluss eine Behinderung auf die Arbeitsmöglichkeiten und Einsatzbereiche in einem Unternehmen hat, ist höchst unterschiedlich und kann nicht allgemein beantwortet werden. Wird der Blick auf Behinderung von typischen Mobilitätseinschränkungen hin zu anderen Formen der Beeinträchtigung geweitet, so zeigen sich häufig viele Möglichkeiten, wo und wie Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen eingesetzt werden können. Und das vielfach ohne hohen finanziellen Aufwand für Adaptierungen.
Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung bedarf einiger Überlegungen, ist jedoch mit ein wenig gutem Willen keine große Sache. Vielfach wird der Ansatz gewählt, bewusst neue Arbeitsplätze bzw. Aufgaben für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Dies verfolgt zwar einen gut gemeinten Zweck, kann aber auch nur weitere Separation fördern und ist zudem oft eine sehr defizitorientierte Herangehensweise.
Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung erfordert viel weniger das Schaffen eigener neuer Tätigkeiten als – oft sehr einfache – Anpassung der Rahmenbedingungen, um bestehende Barrieren zu beseitigen. Stellen Sie sich dazu folgende Fragen:
Organisationen und Behindertenverbände begleiten Sie sehr professionell bei Ihrem Vorhaben, mehr Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Scheuen Sie sich nicht, mit diesen Einrichtungen in Kontakt zu treten.
Leistungswille und Leistungsfähigkeit sind für Unternehmen wichtige Parameter, nach denen sie ihre Beschäftigten beurteilen. Menschen mit Behinderung sind in Unternehmen vor allem mit einem Stereotyp behaftet: Sie seien vermeintlich weniger leistungsfähig. Dabei wird übersehen, dass Leistungsfähigkeit ein hoch individueller Faktor ist, der neben körperlichen und geistigen Fähigkeiten noch von einer Vielzahl anderer Komponenten abhängig ist. Für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen reichen häufig schon kleine Adaptierungen, etwa der Einsatz technischer Hilfsmittel, aus, um ihnen zur Entfaltung ihres vollen Leistungspotenzials zu verhelfen. Vielfach haben aber Menschen mit Behinderungen gar keine Einschränkungen in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit. Und manchmal bringen sie zudem Fähigkeiten mit, mit denen sie ihren „nicht-behinderten“ Kollegen und Kolleginnen sogar um einiges voraus sind.
Unsere Sprache enthält zahlreiche Begriffe und Redewendungen, die Behinderung in ein negatives Licht stellen oder aber sich stark auf Defizite konzentrieren. Während „behindert“ in der Jugendsprache gemeinhin als Schimpfwort an sich verwendet wird, ist auch der Sprachgebrauch in Unternehmen Menschen mit Behinderung gegenüber oft unsensibel oder gar diskriminierend.
Im Internet finden Sie eigene Leitfäden für diskriminierungsfreie Sprache, Handlungen und Bilddarstellungen, die Ihnen zahlreiche gute Beispiele für einen professionellen Sprachgebrauch liefern. Ein Beispiel ist jener des BMASK: Leitfaden für diskriminierungsfreie Sprache, Handlungen, Bilddarstellungen.
In Österreich gilt für Betriebe das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Dieses sieht vor, dass Unternehmen ab einer Anzahl von 25 Beschäftigten eine sogenannte „begünstigt behinderte“ Person pro jeweils 25 Beschäftigten einzustellen haben. Bei diesen Personen handelt es sich um Menschen mit einem Grad der Behinderung von mehr als 50 Prozent, wobei die Einstufung über Amtsärztinnen und Amtsärzte gemäß der Einschätzungsverordnung des Sozialministerium in der jeweils gültigen Fassung vorgenommen wird. Blinde Menschen sowie besonders junge und ältere Beschäftigte mit Behinderung werden in der Berechnung der Erfüllung der Einstellungsverpflichtung sogar doppelt gewertet.
Wird die Anzahl der für den jeweiligen Betrieb gesetzlich vorgeschriebenen Einstellungen von Menschen mit Behinderungen nicht erreicht, so ist er zur Zahlung einer Ausgleichstaxe verpflichtet. Deren Höhe richtet sich nach der Unternehmensgröße und bewegt sich zwischen 261 Euro monatlich für Betriebe mit weniger als 100 Beschäftigten und 391 Euro monatlich für Betriebe mit mehr als 400 Beschäftigten (Stand 2019viii). Die Mehrzahl der österreichischen Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten hat diese Zahlungen von Ausgleichstaxen zu leisten, da sie der Einstellungsverpflichtung nicht nachkommt.
Ein hemmender Faktor für die gezielte Einstellung von Menschen mit Behinderung ist für viele Betriebe der Kündigungsschutz, dem begünstigt behinderte Personen unter bestimmten Umständen unterliegen. Allerdings wurde dieser vor einigen Jahren dahingehend gelockert, dass bei einer bereits bei der Einstellung bekannten begünstigten Behinderung der Kündigungsschutz erst nach Ablauf von vier Jahren ab Einstellungsdatum wirksam wird. Wird die Behinderteneigenschaft erst während des Vier-Jahres-Zeitraumes zuerkannt, dann besteht bereits nach sechs Monaten erhöhter Kündigungsschutz. Bei einer durch Arbeitsunfall erlangten Behinderung tritt dieser natürlich sofort ein.
Soll eine begünstigt behinderte und geschützte Person gekündigt werden, so ist dafür die Zustimmung des Behindertenausschusses im Sozialministeriumsservice nötig. Diese wird vor allem dann erteilt, wenn
Ein erhöhter Entlassungsschutz besteht übrigens nicht.
Neben dem Kündigungsschutz gibt es noch einige andere Faktoren, die Unternehmen zögern lassen, Menschen mit Behinderung einzustellen. Hierzu gehören unter anderem
Die beste Medizin gegen diese Befürchtungen ist die aktive Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich. Behindertenorganisationen, Unterstützungsplattformen, aber auch das Arbeitsmarktservice informieren konkret zu den Möglichkeiten, die mit einer Einstellung von Menschen mit Behinderung einhergehen. Viele der Befürchtungen erweisen sich bei näherem Hinsehen als unbegründet. Zudem kann es generell hilfreich sein, Beschäftigte und Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren. Zahlreiche Organisationen bieten entsprechende Sensibilisierungsworkshops an, die sehr lehrreich und horizonterweiternd sind.
Die Beschäftigung mit dem Thema Behinderung beginnt und endet aber nicht mit der Einstellung von Menschen mit Behinderung. Zahlreiche Behinderungen werden erst im Laufe des (Arbeits-)Lebens erworben. Ungünstige, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen haben daher einen starken Einfluss auf die spätere Entstehung von gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen. Unternehmen und deren Führungskräfte trifft hier also eine besondere Verantwortung darin, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass Beschäftigte eine Behinderung erwerben.
Besonders im Blickfeld sollten dabei einseitige körperliche Belastungen, Ergonomie oder der Umgang mit gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen stehen. Viele dieser Faktoren unterliegen ohnehin erhöhten Arbeitnehmer-Schutzbestimmungen, gleichzeitig besteht häufig auch bei den Beschäftigten eine niedrige Sensibilität für die langfristigen Auswirkungen ungesunder Tätigkeiten und Arbeitshaltungen. Investieren Sie hier also in Aufklärung und Vorsorge – auch über das gesetzliche Ausmaß hinaus. Eine Investition in eine gesunde Belegschaft hat sich noch immer gelohnt!
Als einer der Pioniere in Österreich implementierte die UniCredit Bank Austria bereits 2010 ein professionelles Disability Management im Unternehmen und erfüllt seit 2013 die gesetzlich geforderte Einstellungsquote von Menschen mit Behinderung. Die Unterstützung von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz ist genauso wichtig wie die Barrierefreiheit für Kundinnen und Kunden.
Alle Filialen sind barrierefrei ausgestattet. Mit Services wie dem Shuttle-Service für mobilitätseingeschränkte Kundinnen und Kunden sowie einer Beratung in Gebärdensprache garantiert die UniCredit Bank Austria einen barrierefreien Zugang zu ihren Produkten und Dienstleistungen.
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Herausgeber: brainworker – Vielfalt kommunizieren, Ziegelofengasse 31, 1050 Wien